Dienstag, 8. März 2011

Freiheit u.a.

Mail von Rebecca, 27.1.2011
lieber beat

mit grossem interesse habe ich deinen blog gelesen. du bist mutig, finde ich. wenn wir doch ehrlich sind, geht es uns allen wie dir. wir missbrauchen unsere bekannten/familien/freunde. nur, wer gesteht sich das schon ein. wahrscheinlich fast niemand. dein langer eintrag hat mich auf jeden fall zum denken angeregt. danke dir.

es klingt so, als seist du auf gutem weg - mit allem. dass das nicht immer einfach ist, kann ich mir gut vorstellen. und dann machst du erst noch sinnvolles unterwegs.

ich würde auch gerne - aber ich habe noch 30 jahre zeit - bis ich zumindest alterstechnisch am selben punkt stehe wie du. und bis dahin mache ich das beste.

ich werde deine reisen gerne weiterverfolgen und wünsche dir von herzen das, was du suchst.

lieber gruss, rebecca




Liebe Rebecca,
Danke fuer dein Feedback. Ja, es war nicht einfach, mich in Sumatra einzuleben. Ich war urploetzlich ein Jahrhundert und einen Planeten weg von der Schweiz. Vor allem war alles weg, was mein bisheriges Leben umfasste. Ich war allein, und spuerte des Abends fast nur Leere, fuehlte mich verloren "wie ne Gagu im Weltall" (Stiller Has). Das bekuemmerte mich und stellte mich als souveraene Person in Frage. Seither habe ich wieder Selbstvertrauen in mich gewonnen und komme gut mit mir zu Rande. Aber es war nicht leicht, sich zu loesen von all dem, was zu Hause so sehr mein Leben bestimmt und erfuellt und ihm Sinn gibt. Ich musste lernen, dies nicht mehr zu vermissen, mit mir gluecklich zu sein, im Hier und Jetzt, mich der Situation und dem Umfeld oeffnen, wo und wie ich gerade war. Ja, ich denke, das wird sich auch auf meine Freundschaften und meine Beziehungen auswirken, die ich nicht (miss-)brauchen moechte, um meine Schwaechen mit mir selber zu uebertuechen, sondern souveraener, freier, geloester, als Mensch, der hoffentlich viel geben kann, gerade aus innerer Staerke.
Ganz liebe Gruesse --- Beat


Monika, 23.1.2011
lieber beat
eben habe ich deine blogs gelesen und ich finde deine offenheit stark! (extremer kontrast zu den mit lebenssinn und lebensfreude erfüllten bildern) ich kenne das gefühl grosser eisamkeit auch, ohne in einem fernen land zu sein. bei deinem erleben ist noch eine verstärkung ,dass die menschen keine deiner sprachen verstehen. wie du schreibst, lenken wir uns oft von den grossen fragen des lebens ab, indem wir tätig sind, uns nützlich machen, menschen treffen,...dennoch glaube ich, dass wir einander brauchen, im austausch von mensch zu mensch können wir uns mit unseren facetten erleben, zustimmung, zusammengehörigkeit erleben, auch in frage gestellt werden und all unsere oder zumindest ein teil unserer bedürfnisse ausleben. da empfinde ich nicht , dass du deine familie und deine freunde missbrauchst, weil die menschen ja gegenseitig auf einander angewiesen sind- macht uns nicht gerade dies menschlich und liebenswert?
natürlich ist es für mich auch enorm wichtig, mich selber gern zu haben, damit ich mich mit mir selbst auch wohl fühle.wie lange es aber geht, bis ich mich, so alleine auf mich gestellt, nicht einsam fühle,
schmerzhaft einsam,weiss ich nicht, ich kann mich ja wieder ablenken in meinem alltag mit meinen aufgaben.
ja, ich finde das menschsein manchmal so simpel und gut-manchmal so furchtbar kompliziert.
ich wünsche dir, dass du deine einsamkeit annehmen kannst und sie nicht bekämfpen musst!
ich freue mich, mehr von dir zu lesen
herzlich grüsst
monika

Liebe Monika
Danke fuer deine Zeilen. Genau das werde ich tun: einfach alles so nehmen, wie es ist, auch die Einsamkeit, weil mit sich selbst zufrieden sein, ist das allererste. Es gibt nichts zu bekaempfen und nichts auszuweichen, vor allem nicht sich selbst.
Du hast recht, meine Gedanken waren stark gepraegt von einem extremen Uebergang von Zuhause in ein Drittweltland, alleine, kaum Kommunkikation. Ploetzlich war alles gewohnte weg und nur ich mit mir allein. Wie ein Schiffbruechiger am Strand. Da musste ich mich auch innerlich aklimatisieren.
Ich denke so wie du, dass die Menschen zu allererst soziale Wesen sind, und sich ja erst spaeter ein eigenes Ich aneignen, das sie von der Welt und den Mitmenschen trennt. Insofern waeren wir eigentlich nicht einsam, sondern verbunden ist mit der Welt, den Menschen, dem Universum ...
Und mit unserem Ich sollten wir natuerlich auch gluecklich sein. Ich hoffe, ich finde hier ein paar Tage Zeit zum Meditieren, zu einer Konzentration auf mein Inneres, mal schauen.
Liebe Gruesse ---- Beat


Pesche, 17.2.2011
Lieber Bädu
Wie geht es dir auf deiner Reise? Ich kann mir zwar aus deinen schriftlichen Bemerkungen und deinen Aufsätzen im Blog ein Bild machen, aber eine Diskussion wäre noch interessanter. Ich finde es sehr schön von dir zu lesen, und insbesondere deine Äusserungen zu Freiheit und Selbst haben mich beeindruckt. Und auch ein paar Fragen aufgeworfen.

Dein Reisen ist ja ein Fortbewegen. Fort-Bewegen. Fort. Bewegen. Fort sein. Bewegt sein. Sein. Und es ist nur ganz normal, dass, wenn man fort ist, das Nicht-Fort-Sein plötzlich an Kontur gewinnt.

Zu deinem All-ein sein 2:
Ich spüre irgendwie Zerrissenheit. Auch staunen darüber, dass die Freiheit, das Weg-Sein plötzlich soviel Suche nach Geborgenheit hervorruft. Fast ein verschämtes Erwachen, dass man ja nicht nur Freunde, Familie, Frau hat, sondern auch Freund, Vater, Mann oder weiß nicht was alles ist.

Verlangt frei sein wirklich allein sein? Wenn ja, dann ist es ein Zwang! Frei sein zu wollen, zwingt mich, allein sein zu akzeptieren. Freiheit als Zwang zu etwas? Ein Widerspruch!

Und heisst frei sein, sich lösen zu müssen? Müssen? Muss? Zwang! Muss ich mich zu etwas zwingen, wenn ich frei sein will?

Heisst frei sein nicht: Ich bin frei, meine Grenzen zu suchen? Oder auch nicht, wenn ich sie nicht kennen will?

Und was bedeutet Freiheit individuell? Was bedeutet sie für eine Beziehung? Oder ist Beziehung generell unfrei? Und was heisst Freiheit für eine Gesellschaft? Ist Freiheit ein  totaler Wert, absolut? Nur individuell? Oder muss Freiheit nicht immer wieder ausgehandelt und definiert werden, damit wir uns nicht durch einen absoluten Freiheitsbegriff in Zwang fühlen?

Glück? Ist Glück etwas an und für sich? Oder ist Glück nicht ein „wir“? Ein Spannungsfeld, zu welchem wir beitragen können, welches wir fühlen können, in welchem wir sind? Wir sind Teil, nicht mehr! Aber auch nicht weniger! Können wir Teil sein, wenn wir frei sind im Sinne von „losgelöst von allem“?

Das dumpfe Unbehagen mit dir selber: Sind wir uns selbst nicht abhanden gekommen? Oder sind wir noch da, zwar dumpf, zugedeckt, stumpf? Aber immer noch da.
Oder werden wir wieder gierig? Neu? Neugierig?

Hei Bädu, es freut mich, dass wir Freunde sind, und es freut mich, dass du uns nicht einfach so zurücklassen kannst. Dass es dich beunruhigt, nicht so ohne Weiteres allein sein zu können. Aber mit Ausnützen hat Freundschaft nichts zu tun (siehe Alleinsein 1). Sondern mit Bindung, mit Ver-Bindung. Ich fühle mich nicht ausgenützt, wenn du mir Freund bist, wenn ich dir Freund bin. Die Frage ist: Was trage ich zum Spannungsfeld Freundschaft bei. Was trage ich zum Spannungsfeld Freiheit bei. Was zum Glück.

Freue mich auf die nächste Fahrradtour mit dir!
Alles Gute
Peter

Hallo Pesche,
Danke fuer deine Ueberlegungen. Aber so viele Fragen? So viele Antworten! Wenn ich deine Fragen beantworten koennte und wuerde, dann kaeme das daher, als ob ich ein Guru waere.
Eigentlich bin ich ja derjenige, der in Frage stellt. Ich lese deshalb deine Fragen als deine in sanfte Frageform verkeidete Thesen.
Ja, du hast recht: In der Ferne gewinnt "das Nicht-Fort-Sein an Kontur". Man vermisst so vieles, was man zu Hause so selbsteverstaendlich hat und moechte so gerne in die Rollen schluepfen, die man in der Ferne nicht mehr sein kann: Freund, Vater, Ehemann, Berufstaetiger ... Rollen die einem zu Hause oft zu viel sind, sind in der Ferne zu wenig, ausser man kann damit umgehen, und genau damit setze ich mich ja auseinander.

Du lasest aus meinem Text mit Erstaunen, dass "das Weg-Sein ploetzlich soviel Suche nach Geborgenheit hervorruft". Ja, die Geborgenheit ist weg, doch ich wuerde nicht sagen, dass ich jetzt eine Geborgenheit in der Ferne suche. Ich will nicht einen Ersatz suchen, das waere ja ein Ausweichmanoever, sondern versuchen, mit mir selber gluecklich zu werden, Ich will nichts dagegen tun, nichts suchen, das aushalten lernen, mich aushalten lernen, keine Pille, kein Fernsehprogramm, keine Anbiederung an andere Touristen, um etwas zu uebertuenchen. Ich will mir selber auch Geborgenheit geben koennen. Das wuerde mich frei machen von der Abhaengigkeit, in Sachen Geborgenheit auf andere angewiesen zu sein. Ich moechte gerne eine Komfortzone in mir haben und mich, wo immer ich auch bin, in der vorhandenen Umwelt geborgen fühlen.

Nein, frei sein verlangt nicht, allein zu sein. Ja, um frei zu sein muss ich mich loesen koennen, zum Beispiel von meinen Aengsten, meinen Wuenschen, meinen Sehnsuechten, meinem Geborgeneitsbeduerfnis ... und eben bei mir nach so vielen Familienjahren auch, mit mir selbst zu Rande zu kommen, zufrieden zu sein, ohne diejenigen, ueber die ich so lange meine Zufriedenheit, Glueck, Ruhe etc, definierte. Ja, davon moechte ich mich auch loesen. Ich glaube ein besserer Lebenspartner, Freund etc. zu sein, wenn ich ein souveraener Lebenspartner, Freund etc. bin, als wenn ich einer bin, der dies ist aus Abhaengigkeit.
Ja, frei sein heisst fuer mich, sich loesen zu muessen. Aber das ist sehr individuell. Es gibt auch viele abhaengige Menschen, die sehr gluecklich sind.
Wir haben oft aeussere Zwaenge, muessen Geld verdienen gehen, muessen mit dem Partner Kompromisse eingehen etc. Unsere aeusssere Freiheit ist oft begrenzt. Es ist oft auch einfach, wenn wir uns aeusseren Zwaengen fuegen MUESSEN, dann brauchen wir nicht selber zu bestimmen, was wir eigentlich wollen, was oft viel schwieriger ist.
Innere Freiheit ist wohl eine Art von Autonomie, von Souveraenitaet, entscheiden zu koennen, fuer welchen Weg, fuer welches Leben, fuer welche Variante, fuer welche der vielen Meoglichkeiten man sich entscheidet. Man kann sich so offenbar im Extremfall persoenlich/in innerer Freiheit dafuer entscheiden, sich in Abhaengigkeit zu begeben. Jemand verzichtet in innerer Freiheit auf seine aeussere Freiheit, zum Beispiel mit einer Partnerschaft.
Du sagtest dem in deiner Mail: "Ich bin frei, meine Grenzen zu suchen". Ja, Menschen sind frei, sich in Abhaengigkeit zu begeben. Zwischen Menschen wird oft mit der Waehrung Freiheit gerechnet: Ich verzichte auf diese und jene Freiheit und bekommen dafuer etwas, das mir wichtig ist.
Du fragst: "Ist Beziehung generell unfrei?" und die Antwort auf dieser rhetorische Frage ist Nein. Aber wir moechten doch Beziehungen in Freiheit, weil wir denken, dass das eine qualitativ bessere Beziehung sein muesste, als eine abhaengige Beziehung. Wir treffen Freunde, wir leben mit jemandem zusammen nicht weil wir abhaengig sind, sondern in Freiheit. Ich moechte jedenfalls nicht, dass meine Frau mit mir zusammen lebt, weil sie von mir abhaengig ist. Ich will, dass sie in freien Stuecken mit mir zusammen ist, weil ihr das Sinn macht, weil ihr das gut tut. Wir wollen doch am liebsten bedingungslose, freie Beziehungen, ich will nichts dafuer verlangen, dass ich mit Margrit zusammen lebe. Ich bin bereit zu akzeptieren, dass sie das tut, was fuer sie wichtig ist, das tut, was sie will. Das ist nicht einfach, da muss ich mich eben zuerst selber loesen von Besitzanspruechen und Erwartungen gegenueber der Partnerin .. und genau daran arbeite ich zur Zeit mit meinen Fragen, wie weit kann ich allein sein, wie weit bin ich innerlich frei, koennte ich alleine leben, kann mich loesen ...
Und das glaube ich: ich bin dir ein viel besserer Freund, wenn ich dein Freund bin (nicht weil ich es aus Einsamkeit nicht alleine aushalte, sondern) weil unsere Freundschaft etwas besonderes ist, das wir in Freiheit tun. Nicht eine Freundschaft, um die unertraegliche Einsamkeit oder eine andere Unfaehigkeit zu uebertunchen, sondern etwas, das wir zu unserer Bereicherung pflegen.
Irgendwie so ... alles weitere dann in muendlicher Diskussion in etwa zwei Monaten. Darauf freue ich mich!
Liebe Gruesse ---- Beat