Montag, 11. April 2011

Ueber das Leben und Sterben



Letzten Herbst weilte ich in Konya, Tuerkei und bekam ein paar Dinge mit ueber die Weltanschauung der Sufiten und Derwische, einem mystischen islamischen Orden, der in dieser Stadt sein Mutterkloster hatte. Seither blieb mir die sufitische  Aufforderung "Stirb bevor du stirbst" im Gedaechtnis und kam wieder hoch, als ich in einem Buch ueber den Buddhismus vergleichbares las. Ich versuche das hier wieder zu geben. Vielleicht interessiert's dich. Vielleicht gibt es ja mal eine gute Diskussion mit dir ueber dieses Thema, denn ich denke, das ist halt schon ein Thema, womit man sich beschaeftigen muesste, wenn man richtig leben will, so paradox dies klingt. Wenn du das liest, dann bitte ich dich um Gnade, wenn etwas unverstaendlich oder falsch ist, denn wie immer schreibe ich in einem Internet-Kafi mit ausgeliehenem Notebook und habe nur wenig Zeit. Ich schreibe in Ich-Form, um nicht irgend einer Weltanschauung falsche Ueberlegungen anzuhaengen.
Das Buch ueber den Buddhismus sagt: Ich bin zusammengebraut aus Elementen und Molekuelen des Universums. Mein Koerper und die Welt sind identisch. Auch mein Denken und Fuehlen sind Faehigkeiten der Materie, verbunden mit Wissen, Erfahrung und Sozialisation. Ich bin eine schoene Menschenbrauerei. Mit dem Tod wird mein Koerper wieder zu Erde, also in eine andere materielle Form uebergehen, also niemals sterben. In dieser Form wird es kein Denken, Fuehlen und kein "Ich" und "Mein" mehr geben. Wir muessen davon ausgehen, dass der Geist erlischt. Alles andere ist Glauben. So einfach ist das, was wir wissen koennen, so klar, dass viele Menschen dies kaum ertragen. Mein Sein hat ein Verfallsdatum, aus mir wird etwas anderes entstehen.
Aus Staub sind wir, zu Staub werden wir, und dazwischen wirbeln wir Staub auf. Fragen, wie bspw. ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder eine Wiedergeburt, koennen wir nicht beantworten. Wer so fragt, muss einer Lehre glauben, wofuer es keine Beweise gibt. Solche Fragen fuehren nicht zu einer Einsicht, denn niemand weiss es. Aber wir koennen uns sinnvoll mit der Frage nach dem richtigen Leben befassen, mit der Frage, ob und wie und wieviel Staub wir während des Lebens aufwirbeln wollen, wie wir richtig leben könnten. Das ist eine schwierige Frage.

Die Welt und uns erleben wir durch unsere Sinne und unseren Geist. Beides sind truegerische Instrumente. Insbesondere machen sie uns glauben, es gaebe ein "Ich" und dadurch eine Welt ausserhalb des "Ich". Dies ist eine Art optische Taeuschung. Die Sinneswahrnehmungen lassen in uns Gefuehle der Zu- oder Abneigung, des Habens, Begehrens usw. oder Nichthabens, Nichbegehrens entstehen, also Ich- und Mein-Gefuehle oder Nicht-Ich- und Nicht-Mein-Gefuehle. Das ist oft gut und schön, dadurch erleben wir Befriedigung unserer Wünsche und Bedürfnisse, lässt uns aber auch leiden  und wir erleben Frustrationen, Enttäuschungen.

Die Frage nach dem Lebensglück ist wohl die Frage, wie ich mit Bedürfnissen, Sehnsüchten und Wünschen umgehe. Wenn es mir gelingt, mich davon zu distanzieren, sie zu haben ohne davon besessen zu sein, hafte ich nicht an dieser Welt, bin ich nicht belegt oder abhängig von Gefuehlen des Wollens, Habens, Begehrens, bin ich frei. Damit werden wir aber nicht zu indifferenten, inaktiven Holzkloetzen, im Gegenteil wir sind Ich-unbelastet und damit nicht mehr selbsteingenommen, sondern spontaner, handlungsfaehiger, offener, aktiver, achtsamer und weiser, weil nicht mehr egoistisch.

Ich haenge an meinem "Ich", weil ich liebe mein Leben. Ich werde es verlieren. Das macht Angst. Ich will so lange wie moeglich das Beste erhalten, was ein Mensch erhalten kann und ich will so lange wie moeglich das Beste geben und tun, was ein Mensch geben und tun kann. Das macht mich gluecklich, das macht mir Freude. Mit dem Tod werde ich das verlieren. Damit lebe ich ein Leben in Angst vor Verlust. Ich verliere das, woran ich haenge, woran ich mich angehaengt habe, woran ich mich klammere. An allem was schoen ist und mir lieb ist, ist also ein Geschmaeckle, die Angst vor dem Verlust dessen, das Leiden, wenn ich es verliere.
Buddhisten und Sufiten sagen: Je mehr ich begehre, je mehr ich erreiche, je gluecklicher ich bin, desto groesser ist mein Leiden, meine Angst, umso groesser wird mein Kampf gegen den Tod sein. Die Angst vor Unglueck und Tod sei meine geistige Krankheit, Die "Graete" im Paradies meines guten Lebens. Wenn ich ein guter Mann bin, dann habe ich die "Graete" des guten Mannes (die Angst, den guten Mann zu verlieren), wenn ich gluecklich bin, dann habe ich die "Graete" des Gluecklichen (die Angst, mit dem Tod das Glueck zu verlieren), wenn ich ein guter Vater bin, dann habe ich die "Graete" des guten Vaters. Ich habe Angst vor dem Ende dieses Zustandes. Das ist das Yang im Ying. Gerade im Angesicht des Todes tun viele Menschen fast alles, um es zu verlaengern, sei es auch nur um Tage, weil sie dem Leben anhaften, anstatt es loszulassen, weil  sie Angst haben vor dem Verlust, besessen sind vom Leben. Das ist in den Ansichten von Buddhisten und Sufiten dumm.
Diese Angst, diese seelische "Krankheit" besiegen, wuerde heissen, alles loszulassen, woran ich haenge, was mir wertvoll ist, Sicherheit gibt, das Leben erleichtert, Freude macht, gluecklich macht. Denn WEIL ich daran haenge, habe ich Angst, es zu verlieren.
Klug sein, klug leben, wuerde heissen, alles schon jetzt los lassen, nirgendwo anhaften, dann kann ich im Leben und mit dem Tod auch nichts verlieren. Und ich haette keine Angst mehr im Leben und vor dem Tod, weil ich nichts mehr habe, auch nichts mehr zu verlieren habe. Meine Anhaftungen an meine Beduerfnisse, Verlangen, Wuensche, Traeume, an das Leben gaebe es nicht mehr. Was nicht ist, kann folgerichtig auch nicht sterben. Dieser Zustand der Freiheit, des nicht mehr Beduerfens, der Wunschlosigkeit, wird von Buddhisten und Sufiten als der schoenste, kreativste, achtsamste, spontanste, lebendigste, erhabendste Zustand beschrieben, den wir Menschen erreichen koennen. Wir sind nicht mehr fixiert und eingeschraenkt durch unsere Beduerfnisse und Aengste, sondern leben das umfassendste Leben das wir leben koennen, das Leben im Hier und Jetzt.
Etwa so wuerde ich (kann ich) beschreiben, was Buddhisten und Sufiten meinen, wenn sie uns auffordern: Lass los, lass deine Wuensche und Aengste sterben bevor du stirbst. Dann wirst du leben.